Warum Deutschland seine Ziele zu verpassen droht

Kohlekraft, Ukrainekrieg und Co.: Warum Deutschland seine Klimaziele zu verlieren droht

Klimaaktivisten wollen die Räumung von Lützerath verhindern und haben das ehemalige Gelände besetzt.  RWE will Lützerath zerstören, um darunter Braunkohle abzubauen.

Klimaaktivisten wollen die Räumung von Lützerath verhindern und haben das ehemalige Gelände besetzt. RWE will Lützerath zerstören, um darunter Braunkohle abzubauen.

Frankfurt am Main. Der Klimaschutz stockt. Wir erklären, welche Rolle der Ukrainekrieg und seine Folgen dabei spielen – und wo er auch feststeckt.

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Wie sieht die Kohlendioxid-Emissionsbilanz des Klimakillergases aus?

Negativ. Nach Berechnungen der als regierungsnah geltenden Denkfabrik Agora Energiewende wurden im vergangenen Jahr in Deutschland 761 Millionen Tonnen CO₂ in die Luft geblasen. Gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 ist das nur eine Reduzierung um 39 Prozent. Rein rechnerisch dürften es etwa 43 Prozent sein, denn Deutschland hat sich eine Reduzierung um 65 Prozent bis 2030 zum Ziel gesetzt.

Sind Klimaziele noch realistisch?

Auch unter Wissenschaftlern wachsen Zweifel. Auch Agora-Chef Simon Müller schlug Alarm: Hoher CO₂-Ausstoß habe sich trotz geringerem Energieverbrauch nicht verändert. Hinzu kommt, dass die erneuerbaren Energien dank des guten Wetters ihren Anteil am Strommix auf einen neuen Höchststand von rund 46 Prozent steigern konnten.

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Wie sind gegensätzliche Entwicklungen vereinbar?

Einerseits wird fast 5 Prozent weniger Energie verbraucht – bedingt durch Preiserhöhungen für Erdgas und Strom und mildes Wetter im vergangenen Jahr. Andererseits hat sich der Energiemix aus Sicht des Klimaschutzes deutlich verschlechtert: Es werden mehr Kohle und Öl verbraucht und unterm Strich das rote Ziel (756 Millionen Tonnen CO₂) um fünf Millionen Tonnen verfehlt.

Welche Rolle spielt die durch den Ukrainekrieg ausgelöste Energiekrise?

Staatliche Energiesicherheitsmaßnahmen sind ein wichtiger Faktor. Ein wichtiger Punkt dabei ist die mit dem Klimaschutz nicht vereinbare Reaktivierung von Kohlekraftwerken. Eine Anlage mit einer Leistung von zwei Gigawatt, was fast zwei Atomkraftwerken entspricht, ist wieder am Netz. Zudem steigt der Erdgaspreis aufgrund des Wegfalls russischer Lieferungen teilweise in astronomische Höhen. Dies hat auch zum Einsatz von Kohlekraftwerken geführt, da sie Strom zu geringeren Kosten als Gaskraftwerke produzieren können, obwohl der Preis für Kohle ebenfalls gestiegen ist. Die Industrie verbraucht auch mehr Kohle und Öl. Diese Unternehmen können jedoch die Emissionen erheblich reduzieren und die Klimaziele der Branche durch größere Energieeinsparungen und Effizienz erreichen.

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Wo ist das wahre Defizit?

Das schwarze Schaf ist der Bereich Transport und Bauen. Nach Berechnungen von Agora ist der Mineralölverbrauch im vergangenen Jahr gestiegen, obwohl Deutschland eigentlich auf Elektromobilität umsteigen will. Die CO2-Emissionen des Verkehrssektors liegen fast 8 Prozent über dem Ziel – was laut Agora auf den erhöhten Verkehr nach dem Ende der Pandemie zurückzuführen ist. Zudem fehle es auch an „politischen Maßnahmen zur Emissionsminderung“. Der Grund dafür ist, dass der Umstieg vom Individualverkehr mit Verbrennungsmotoren auf klimafreundliche Verkehrsmittel (Bus, Bahn, Fahrrad) kaum vorankommt – selbst mit einem 9-Euro-Ticket.

Warum stecken die Dinge im Bausektor fest?

Dort ist das Branchenziel von 113 Millionen Tonnen CO₂ um fünf Millionen Tonnen gesunken. Das ist besonders besorgniserregend, weil gleichzeitig der Verbrauch von Erdgas im Vergleich zum Vorjahr sogar um 16 Prozent oder sieben Millionen Tonnen CO₂ gesunken ist.

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Was ist das Problem mit der Heizung?

Es scheint, dass der Wärmeübergang sehr langsam voranschreitet. Die Austauschquote bei Heizungsanlagen ist noch sehr gering. Gleichzeitig sind Erdgasheizungen nach wie vor die beliebteste Lösung, wenn neue Wärmeerzeuger installiert werden. Agora-Experten sprechen von „jahrelanger Eliminierung im Wärmeübergang“. Auch die energetische Sanierung bestehender Gebäude spielt hier eine Rolle. Neue Fenster, Dämmung für Wände, Decken und Dächer – das wird nur zögerlich gemacht. Trotz staatlicher Subventionen sind die hohen Kosten der wichtigste Faktor.

ARCHIV - 12. Juli 2022, Portugal, Leiria: Ein Freiwilliger versucht mit einem Ast zu verhindern, dass sich ein Waldbrand auf ein Haus im Dorf Casal da Quinta außerhalb von Leiria ausbreitet.  Portugal, das im Sommer weitgehend von Waldbränden verschont blieb, leidet nun unter einer Hitzewelle und dutzenden Bränden.  Foto: Joao Henriques/AP/dpa +++ Radiobild dpa +++

Fünf Klimalügen, die wir bis 2023 nicht mehr glauben sollten

Während der Corona-Krise besteht die Hoffnung, dass die Pandemie dem Klimaschutz einen wichtigen Schub geben kann. Dann marschierte Russland in die Ukraine ein. Ein Rückblick auf das Klimajahr 2022 – und was sich 2023 dringend ändern muss.

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Jetzt findet ein Umdenken statt. Es wird immer deutlicher, dass energetische Sanierungen oft nicht einfach umzusetzen sind, daher wird zunehmend über alternative Methoden nachgedacht. Der Chef der Stadtwerke München, Florian Bieberbach, plädierte im RND-Interview für den Ausbau des Wärmenetzes und die Umstellung auf erneuerbare Energien. Er hielt den massiven Ausbau der Geothermie für unerlässlich.

Was braucht es, um die Klimaziele zu erreichen?

Die Regierung muss handeln. Als großes Versäumnis wurde die Ampel der Umwelt- und Klimaschutzschützer festgehalten, weil sich die politischen Akteure nicht auf das im Koalitionsvertrag vorgesehene direkte Klimaschutzprogramm einigen konnten. Auch Agora-Chef Müller hält erneuerbare Turbos, also mehr Wind- und Solarstrom, und einen Elektrifizierungsangriff durch Wärmepumpen in Haushalten und Industrie für zentral. Das kurzfristige Ziel soll bis Ende 2023 „weniger Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und instabile Preise“ lauten.

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Wie hat die Regierung reagiert?

Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) wies darauf hin, dass die Gesamtemissionen im Vergleich zu 2021 “sehr gering” seien (5 Millionen Tonnen oder 0,7 Prozent). 2023 sollen Maßnahmen zum beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien umgesetzt werden. „Außerdem haben wir in der aktuellen Regierung für das Energieeffizienzgesetz gestimmt.“ Aber: „Unser Sorgenkind ist der Verkehrssektor.“ Bisher konnte keine Perspektive entwickelt werden, die die CO₂-Lücke verändert. Diese Kritik richtete sich gegen Verkehrsminister Volker Wissing (FDP).

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